Lissi Maier-Rapaport
Ein Leben in und mit Kunst
von Barbara Krämer M.A. Kunsthistorikerin
„Die Malerei lässt sich nicht vom Leben trennen. Es ist eins. Es ist, als würde man fragen: Will ich leben? Meine Antwort ist: ja – und ich male“. Diese Worte der amerikanischen Künstlerin Lee Krasner (1908-1984) passen genau auf die künstlerischen Ambitionen der in Tübingen lebenden Lissi Maier-Rapaport – mit der Einschränkung, dass sie keine Malerin, sondern Objektkünstlerin ist. Sie kommt von der Mosaikkunst her, die zur Gattung der Maltechnik gehört. Die 1963 in München in ein musikaffines Elternhaus hineingeborene Lissi entdeckte schon sehr früh ihre Liebe zum Zeichnen und Malen und hat laut eigener Aussage bereits im Kindergarten „immer gemalt“. Als Beruf entschied sie sich allerdings zuerst gegen ihre eigentliche Liebe und studierte Sozialpädagogik. Zahlreiche Kunstkurse und Workshops folgten; auch in Keramik.
Der erste Wendepunkt
in ihrem künstlerischen Leben kam 1990 mit einem 5jährigen Aufenthalt in Israel, dem bis heute regelmäßig weitere folgen. Hier entdeckte sie faszinierende Beispiele von Mosaikkunst, auch im zeitgenössischen Bereich. Und sie lernte bei einem Ausstellungsbesuch 2011 – Shafir hatte eine Einzelausstellung auf der Mosaik-Biennale in Venedig – die berühmte in Israel lebende polnische Künstlerin Ilana Shafir (1924-2014) kennen, deren Schülerin sie wurde. Shafir, die über eine klassische Ausbildung als Malerin verfügt, weihte sie in die Geheimnisse ihrer „Spontanen Methode“ ein – so ist Maier-Rapaport heute die einzige Künstlerin in Europa, die noch mit der Zustimmung von Ilana Shafir zu Lebzeiten diesen methodischen Ansatz unterrichten darf. Die spezielle Herangehensweise Shafirs, geprägt von der Sinnlichkeit des verwendeten Materials, war für Lissi Maier-Rapaport stilbildend für ihre weitere künstlerische Entwicklung. Bis heute profitiert sie vom regelmäßigen Austausch mit einer weiteren Schülerin von Shafir, Na’ama Geltz. Die dialektische Auseinandersetzung mit den Kunstwerken von Ilana Shafir übte einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung von Lissi Maier-Rapaport zur mosaizierenden Objektkünstlerin aus. Sie entdeckte den weiten Kosmos der Möglichkeiten von Mosaikkunst neu, reicht dieser doch von traditionellen römisch-byzantinischen Bodenmosaiken bis hin zu Installationen und Wandobjekten, die nur mehr sehr bedingt den Begriff „Mosaikkunst“ verkörpern, aber eine unheimlich starke Strahlkraft entwickeln. Ebenfalls wichtig für ihr künstlerisches Verständnis war ein Besuch im Tarot-Garten („Giardino die Tarocchi“) in der Toskana, wo sie erstmals die überbordenden Skulpturen der Künstlerin Niki de Saint Phalle (1930-2002) für sich entdeckte und unmittelbar von ihnen angesprochen wurde. Diese Begegnung setzte ein intensives Denken in Gang, sie entschied sich letztendlich dafür, nach und nach aus ihrem Beruf als Sozialpädagogin auszusteigen und ihrer sprudelnden Fantasie in einem Leben als freie Künstlerin den nötigen Freiraum zu geben. Künstlerinnen sind Freigeister, sie leben in einem ihnen eigenen Wertekorsett, in dem sie ihre Kreativität frei ausleben. Dies tut die Künstlerin Lissi Maier-Rapaport.
Mosaik und mehr
Lissi Maier-Rapaport hat die ihr adäquate künstlerische Ausdrucksform im Mosaik gefunden; allerdings verharrt sie nicht in dieser Technik, sondern entwickelt sich stetig weiter in Richtung Objektkunst. Sie bleibt in ihren neuesten Arbeiten ihrem Material wie Flach-Glas oder Smalti weitgehend treu und entwirft doch ganz neuartige Installationen. Mosaikkunst ist eine der ältesten künstlerischen Darstellungsformen, schon im Altertum bekannt und beliebt, aber auch eine Kunstform, die heute eher eine Randexistenz führt, da sie in der industriellen Fertigung und im reinen Kunsthandwerk zwei ernst zu nehmende Konkurrentinnen hat. Italien, Spanien, die Türkei, Marokko, Tunesien oder Griechenland sind zum Beispiel Länder, in denen man äußerst kunstfertige traditionelle Mosaike bewundern kann. Als Mosaik werden – nach einer Definition des Deutschen Instituts für Normierung – Materialflächen mit einer Seitenlänge von unter 10 cm bezeichnet. Im künstlerischen Bereich ist diese Normierung aber natürlich nicht von Belang. In den letzten Jahrzehnten erkannten immer mehr Künstlerinnen und Künstler die unendlichen Ausdrucksweisen, die in der Beschäftigung mit diesem Material liegen. Genau dies fasziniert auch Lissi Maier-Rapaport jeden Tag aufs Neue: im Legen eines Mosaiks – sie begann hier ganz klassisch mit Gebrauchsgegenständen oder auch mit einem Abbild ihres Hundes Nelly – kann sie unbegrenzten Möglichkeiten nachspüren, Experimente verwirklichen, durch Brechen von herkömmlichen Regeln zu ganz neuen Ergebnissen kommen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Gleichzeitig sieht Maier-Rapaport auch den Aspekt der Meditation, indem sie aus zerbrochenem Material wie bei „Schmerz“ etwas Heiles, etwas Neues gestalten kann. Die Arbeit „Refugio“ steht für das, was die Kunst für sie bedeutet: wenn die tagespolitischen Themen zu belastend sind, flüchtet sie sich in ihren privaten Rückzugsort: bestehend aus Familie, Buch, Natur und Mosaik. Die Variationen in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichem, gerne auch historischem, Material wie Glas, Smalti, Keramik, Porzellan, Marmor oder Kohle gehen ins Unendliche so wie variable Legeformen und Legeverläufe auch. Zusätzlich ergeben sich im Austausch mit anderen Mosaikkünstlerinnen und -künstlern immer wieder neue Aspekte für die eigene Arbeit, was für Lissi Maier-Rapaport essentiell ist.
Einbindung aktueller Ereignisse
Gleichzeitig reagiert die Künstlerin seismografisch auf gesellschaftspolitische Ereignisse. Bereits seit 2014 beschäftigt sie sich mit dem fortschreitenden Klimawandel oder der zunehmenden Versiegelung der Flächen: „Wenn das Klima sich wandelt“. In einem aufwühlenden Diptychon verdeutlicht sie die Auswirkungen unseres unbeschwerten Umgangs mit unserem ökologischen Fußabdruck. Natur ist ein wichtiger Anker in ihren Arbeiten: sie möchte metaphorisch Assoziationen in Gang setzen, die in uns etwas bewirken und innere Landschaftsbilder entstehen lassen. So bilden sich häufig Landschaftsanmutungen wie Flußverläufe, Ortschaften oder Häuser aus der Vogelperspektive. Größere Bedeutung in ihren Arbeiten erlangen aber auch zunehmend politische Geschehnisse, wie zum Beispiel die unheilvolle Tradition von Genitalverstümmelungen, die in Afrika auch heute noch praktiziert wird. Auffallend ist, dass Maier-Rapaport für diese Werke der „Dunklen Seite“ ihrer Kunst auch einen völlig anderen Farbkreis verwendet: hier dominieren Rot, Schwarz und Grau. Werke wie „Verbrannte Erde“ oder „Brandherde“ agieren aggressiv mit Schwarz und Rot, schleudern Gedankenblitze heraus. Sehr augenscheinlich wird dies beispielsweise bei ihrer Arbeit „Abgrund“, mit der sie sich mit den Lebenswege der Tübinger Juden beschäftigt, ein inneres Bedürfnis für sie. Grün in allen Schattierungen als eine ihrer Lieblingsfarben neben Türkis, bestimmt hier als Farbe der Hoffnung die Zeit vor 1933. Nach der Reichspogromnacht zerfällt die jüdische Welt in Stücke, buchstäblich bleibt kein Stein auf dem anderen bis zum bitteren Ende 1945. Die Leere der Nachkriegszeit zeigt sie in einsam-kaltem Weiß: Zwei jüdische Tübinger Mitbürger überlebten die unvorstellbare Barbarei der Nationalsozialisten; die anderen sind während der Hitler-Zeit geflohen oder kamen ums Leben. Als Gegenpol zur „Dunklen Seite“ erarbeitet sie sich eine optimistische „Weiße Zeit“, hier dominieren die Farben Weiß und Grün, hier gibt es „Leichtigkeit“ und in „Der Fluss in mir “ mäandert ein Lebensweg durch die verschiedenen Stadien der Zeit. Maier-Rapaport ist eine äußerst aufmerksame Beobachterin, die neugierig durchs Leben geht und dabei immer mit ihrer Kunst ergründet, warum sich Dinge so entwickeln, wie sie sind. Sie gibt den Betrachtenden Hinweise und Denkanstöße, indem sie ihre in Kunst gefassten Gedanken offenlegt. Und sie wirkt durch ihre poetischen Werktitel ungemein inspirierend.
Künstlerische Fotografie
Ihre Beobachtungen nimmt sie sehr gerne zuerst fotografisch als Inspirationsquelle zur weiteren Bearbeitung auf. Maier-Rapaports fotografische Street-Art, ein weiterer Schwerpunkt ihrer künstlerischen Betätigung, in der sie sich oft intensiv mit Themen aus ihren zahlreichen Israel- Besuchen beschäftigt, empfindet sie dabei als gleichwertig zu ihrer Objektkunst. Häufig ergänzt sie ihre Mosaik-Arbeiten auch durch Fotografien und erreicht dadurch einen höheren Abstraktionsgrad. Beispiel hierfür ist ihre Arbeit „Weiße Linie“, die sie mit vier Fotografien als Detailvergrößerungen erweitert hat. Ihr fotografischer Blick entspricht exakt ihrer Herangehensweise als Mosaik-Künstlerin, da ihr Ausgangspunkt Linien und Flächen sind, aus denen sie spannende Textur entwickelt.
Barbara Krämer M.A. Kunsthistorikerin